Die Parallelgesellschaft in Brüssel

EU-Kommissionspräsident Juncker hat sich in der Flüchtlingsfrage zu Wort gemeldet und „eindringlich vor der Einführung von Grenzkontrollen gewarnt“. Das könne „zu schweren wirtschaftlichen Folgen“ und „nicht mehr beherrschbaren Problem führen“. Als ob die derzeitige Situation noch beherrschbar wäre! In Brüssel scheint sich eine Art Parallelgesellschaft zu entwickeln.

EU-Kommissionspräsident Juncker trat in der Flüchtlingsfrage ernsthaft mit folgendem Satz vor die internationale Presse: „Wer Schengen killt, wird den Binnenmarkt zu Grabe tragen“.

Mit Verlaub, Herr Präsident Juncker, Schengen wurde bereits „gekillt“, und zwar vor Monaten. Deshalb stehen wir ja vor dem Flüchtlings-Chaos. Die EU verfügt über keine sicheren Außengrenzen mehr. Doch die sind überhaupt erst die Voraussetzung für Schengen. Nur wenn die Außengrenzen streng kontrolliert, überwacht und gesichert sind, kann man auf die Grenzkontrollen im EU-Binnenland verzichten. So lauten der Vertrag von Schengen und das Versprechen, das die Politik den Bürgern einst gegeben hat. Aber statt der „Festung Europa“ hat man das “Scheunentor Europa“ geschaffen: Die EU-Außengrenzen im Süden sind entweder nicht bewacht oder es herrschen dort chaotische Zustände. Die betroffenen Länder lassen seit Monaten – tagtäglich – Tausende Asylbewerber und Wirtschaftsflüchtlinge aus aller Welt unregistriert und unkontrolliert in die EU einreisen.

Wäre das anders, hätte Brüssel wohl nicht die Türkei mit der Sicherung der EU-Außengrenze beauftragt. Zur Erinnerung: Ausgerechnet Ministerpräsident Erdogan soll nun die Flüchtlinge in türkischen Lagern festhalten, damit sie nicht in die EU „weiterreisen“. Als Gegenleistung erhält er Milliarden der EU-Steuerzahler, Visa-Freiheit für Türken, freie Hand im Krieg gegen die Kurden und Aussicht auf den EU-Beitritt seines Landes. Und zu allem Übel hat Brüssel sich mit diesem „Deal“ vom türkischen Ministerpräsidenten völlig abhängig gemacht: denn Millionen von in der Türkei gestrandeten Flüchtlinge mit dem Willen, in die EU zu gelangen, bedeuten ein menschliches Pfand in der Hand von Erdogan. Er kann nun jederzeit mit Brüssel das Spiel „Flüchtlings-Schleuse auf – Flüchtlings-Schleuse zu“ spielen; also drohen, die zwei Millionen Syrer einfach in die EU weiterreisen zu lassen, falls seine Forderungen nicht erfüllt werden.

Doch auch der zweite Halbsatz von Herrn Juncker bleibt nebulos: Warum soll die Einführung von Personenkontrollen an den Grenzen den „Binnenmarkt zu Grabe tragen“? Es ist allemal besser, den Reisepass vorzuzeigen, als den Kollaps des Sozialsystems zu riskieren. Mehr als 90 % der Flüchtlinge sind – so Finanzminister Schelling – auf dem Arbeitsmarkt kurzfristig nicht integrierbar, also ein Fall für die Mindestsicherung samt Zuschüssen und vollem Zugang zum Gesundheitssystem. Jährlich stellen etwa 90.000 Menschen Asylanträge in Österreich – den Familiennachzug noch nicht einberechnet. Vor diesen „schweren wirtschaftlichen Folgen“ müsste Juncker „warnen“ und nicht vor dem Vorzeigen des Reisepasses an der Grenze, das man in der geschützten Brüsseler Parallelwelt zur „europäischen Gretchenfrage“ hochstilisiert. Und „nicht beherrschbare Probleme“ sind für die Bürger die verschärfte Sicherheitslage (zigtausende Flüchtlinge tauchen unter), chaotische Zustände (Kölner Skandalnacht) und enorme Schwierigkeiten, straffällige Asylwerber abzuschieben.

Wer, wie Herr Juncker, mahnend von EU-Recht spricht, sollte wissen, dass Österreich keiner einzigen Person Asyl gewähren muss, die über einen sicheren Drittstaat einreist – und unser Land ist nur von sicheren Drittstaaten umgeben. Wir waren also bisher mehr als großzügig.
Außenminister Kurz, Landeshauptmann Niessl und FP-Obmann Strache ist daher beizupflichten, dass „die Situation außer Kontrolle ist und wir ohne europäische Lösung zu nationalen Maßnahmen gezwungen sind“.