„Einmal Chefarzt-Gattin, immer Chefarzt-Gattin“

Vergangenes Jahr wurden in Österreich vier von zehn Ehen geschieden. 2020 droht wegen Corona zum Scheidungs-Rekordjahr zu werden. Es ist an der Zeit, das Eherecht grundlegend zu ändern.

Die Scheidungsrate in Österreich explodiert. Im Vorjahr wurde nahezu jede zweite Ehe geschieden. 2020 wird es zu einem exorbitanten Anstieg kommen. Aus der Erfahrung in meiner Rechtsanwaltskanzlei rechne ich mit Steigerungsraten bis zu 30 %.

Ein Hauptgrund für den Scheidungsboom ist das Corona-Virus: Quarantäne, Isolation und räumlichen Enge lassen Beziehungskonflikte aufbrechen. Es kommt zu regelrechtem „Lagerkoller“. Oft reicht ein Funke aus, um den Scheiterhaufen in Brand zu setzen. Nach Aufhebung der Quarantäne wollen ungewöhnlich viele Ehepaare die Scheidung.

Wir stehen am Beginn der zweiten Corona-Welle. Die Regierung verschärft ihre diesbezüglichen Maßnahmen wochenweise. Ob es zu einem neuerlichen Lockdown kommt, ist offen. Fakt ist, dass Hunderttausende in Kurzarbeit sind, Ausgangssperren kommen und das Homeoffice ausgebaut werden soll. Eine neue Scheidungswelle steht uns wohl bevor.

Unser Eherecht ist nicht mehr zeitgemäß. Es wird der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht gerecht. Denn in Österreich gilt das „Verschuldensprinzip“, das salopp gesagt lautet: Der Schuldige muss dem Schuldlosen Unterhalt bezahlen. Das kann gravierende Auswirkungen auf den Rest des Lebens haben. Etwa dann, wenn man jeden Monat 33% seines Netto-Einkommens an den Ex-Partner zahlen muss, obwohl man schon seit Jahrzehnten geschieden ist.

Scheidungen arten regelmäßig zu Schlammschlachten aus, weil die Verschuldensfrage für den Unterhalt maßgeblich ist. Ein Beziehungsleben ist aber so gut wie nie schwarz oder weiß, sondern hat Grauschattierungen. Für Richter ist es oft unmöglich festzustellen, dass jemand das alleinige oder überwiegende Verschulden am Scheitern einer langjährigen Ehe trägt. Das führt zu unbilligen Ergebnissen. Kann etwa die „alleinige“ Schuld eines Ehegatten nicht festgestellt werden, dann steht der andere Ehegatte, der sich aufopfernd um Kinder und Haushalt gekümmert hat, oft mit leeren Händen da.

„Alles oder nichts“ – so könnte man das Verschuldensprinzip grob zusammenfassen. Im Gerichtssaal spielen sich Dramen ab. Geschickte Prozesstaktik ist oft entscheidend. Das erlebe ich als Rechtsanwalt in Scheidungsverfahren immer wieder und immer öfter.

Länder wie Deutschland haben das Verschuldensprinzip längst abgeschafft. Es gilt Eigenverantwortung. „Einmal Chefarzt-Gattin, immer Chefarzt-Gattin“ – diesem Grundsatz wurde der Garaus gemacht. Nach der Scheidung ist jeder für sich selbst verantwortlich – ausgenommen in Härtefällen. Das ist bei Scheidungsraten bald jenseits von 50% und extrem gestiegener Lebenserwartung auch sachgemäß.

Unsere Regierung hat vor zwei Wochen angekündigt, das Eherecht „an die heutigen gesellschaftlichen Realitäten“ anpassen zu wollen. Das Verschuldensprinzip bei Scheidungen soll überprüft und „gegebenenfalls neu erfasst“ werden. Solange dieses Reformvorhaben nicht umgesetzt ist, sollten sich Heiratswillige einen Satz merken, den mir ein Scheidungsrichter in meiner Ausbildungszeit gesagt hat: „Die Ehe ist der wichtigste vermögensrechtliche Vertrag im Leben.“