Der Plan des Erdogan

Die Türkei unter Präsident Recep Erdogan gerät international in die Isolation. Selbst die USA rücken von ihrem Nato-Partner ab. Nur nicht die EU. Dort glaubt man noch die Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“.

US-Präsident Barack Obama lehnte ein persönliches Gespräch mit Recep Erdogan entschieden ab, obwohl sich der türkische Präsident letzte Woche wegen des Atomgipfels in Washington aufhielt. Obama blieb auch demonstrativ der Eröffnung einer von der Türkei finanzierten Moschee fern. „Der türkische Präsident erfährt bei seinem USA-Besuch einen kühlen Empfang“, titelte das Wall Street Journal. Die Türkei versuchte dies herunterzuspielen. Doch die Abfuhr war weit mehr als eine Irritation: Der Nato-Staat Türkei gilt als wichtigster Verbündeter der USA im mittleren Osten. Aber die zunehmende Unberechenbarkeit Erdogans und sein autoritär-islamistischer Führungsstil lassen das Land zu einem Unsicherheitsfaktor werden. Das reicht vom Abschuss des russischen Kampfjets, über die Kurdenverfolgung, dem gewaltsamen Schließen der größten türkischen Oppositionszeitung durch die Regierung, der besorgniserregenden Islamisierung bis hin zu den Vorwürfen, die Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) lasse ihre Erdölgeschäfte über die Türkei laufen.

Letzteres wird in Washington immer mehr zum Politikum:
Denn Jordaniens König Abdullah soll in den USA schwerste Vorwürfe gegen Präsident Erdogan erhoben haben. Laut dem Nachrichtenportal „Middle East Eye“ (MEE) hätte das jordanische Staatsoberhaupt im Jänner 2016 im amerikanischen Kongress vor US-Senatoren, höchsten Militärs und führenden Diplomaten wörtlich erklärt, „dass Terroristen nach Europa kommen, ist Teil der türkischen Politik“. Die Türkei unterstütze islamistische Gruppen nicht nur in Syrien, sondern auch in Libyen und Somalia. Als ein US-Kongressabgeordneter fragte, ob die Terror-Miliz „IS“ Erdöl in die Türkei exportiert, soll der jordanische König geantwortet haben “Ja, absolut”. Das Problem sei, so Abdullah, dass „Erdogan in der ganzen Region keine politische, sondern eine radikal-islamische Lösung wolle“.
Diese Aussagen sind deshalb so bemerkenswert, da Jordanien und die Türkei Verbündete sind. MEE beruft sich auf ein detailliertes Gesprächsprotokoll; die Nachrichtenplattform gilt als seriös und wird regelmäßig von der britischen BBC, der „Huffington Post“ und dem „Guardian“ zitiert.

In der EU war davon nichts zu hören. Das überrascht nicht: Brüssel will den Bürgern ja den EU-Türkei-Flüchtlings-Deal als Erfolg, die Visa-Freiheit für 80 Millionen Türken als Notwendigkeit und Präsident Erdogan als verlässlichen Partner verkaufen.

Doch die Wahrheit sieht anders aus: Erdogan führt im eigenen Land einen Krieg gegen die Kurden. Sollte die Visa-Freiheit wie geplant am 1.Juni tatsächlich kommen, dann werden sich Hunderttausende, wenn nicht Millionen von ihnen auf den Weg in die EU machen. Ein Flugticket nach Berlin kostet etwa 60 Euro. Etwas Besseres als die EU-Visa-Freiheit konnte Erdogan also nicht passieren: die Kurden fliehen vor ihm visumfrei mit Billigflügen nach Europa. Und der EU-Beitritt seines isolierten Landes ist im wichtigsten Punkt – „dem freien Aufenthaltsrecht für türkische Bürger“ – faktisch vollzogen.

Brüssel wagt keine Kritik an ihm, was das Selbstverständnis des Präsidenten ins Paschahafte steigert. Das zeigt der Vorfall: Die türkische Regierung ließ vor wenigen Tagen den deutschen Botschafter zu einem stundenlangen Gespräch ins Außenministerium der Türkei einbestellen, nur weil in einer Satire-Sendung des Norddeutschen Rundfunks zwei Minuten lang das witzige Lied „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ gespielt worden war, das Erdogans Umgang mit der Pressefreiheit kritisiert hatte.

Wer jetzt noch an den EU-Türkei-Deal glaubt, der glaubt auch die Märchen des Sultans aus „Tausendundeiner Nacht“.