Ein geheimes Gesprächsprotokoll vom November 2015 zeigt, wie dreist der türkische Präsident Erdogan die EU-Spitzenvertreter in der Flüchtlingsfrage bedroht hat. Anstatt ihm höflich die Tür zu weisen, hat man ihm Geld, EU-Beitrittsverhandlungen und Visa-Freiheit geboten. Es ist an der Zeit, sich einigen unbequemen Wahrheiten zu stellen.
In dem Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Juncker und EU-Ratspräsident Tusk im November 2015 drohte der türkische Präsident Erdogan der EU, „die Grenzen zu öffnen und alle Flüchtlinge in Reisebusse zu stecken“, falls er nicht mindestens 6 Milliarden Euro bekäme. „Na, was machen Sie denn dann mit den ankommenden Flüchtlingen, falls Sie sich mit mir nicht einigen? Sie umbringen?“, provozierte Erdogan die beiden EU-Spitzenpolitiker. Die EU werde mit mehr als nur einem toten Buben an der türkischen Küste konfrontiert sein. „Es werden 10000 oder 15000 sein“, setzte er fort. „Wenn Sie mir für zwei Jahre nur 3 Milliarden Euro bieten, dann brauchen wir hier gar nicht weiterzusprechen“. Regeln der EU über die Verwendung der europäischen Steuergelder lehnte Erdogan ab. Dann forderte er – der Juncker und Tusk ständig unterbrach – mehr Respekt vor den 80 Millionen Türken und erklärte dem hilflosen Luxemburger Juncker, dass „Luxemburg nur so groß ist, wie eine kleine Stadt in der Türkei“.
Wer nun glaubt, die beiden EU-Spitzenpolitiker hätten dem Staatsgast vom Bosporus danach die Tür gewiesen, irrt gewaltig. Im Gegenteil: Juncker rechtfertigte sich vor Erdogan auch noch, dass „wir hart arbeiten“, und doch ihn, Erdogan, „in Brüssel wie einen Prinzen behandelt haben“. Und er offerierte ihm „das Paket“: 3 Milliarden Euro, echte EU-Beitrittsverhandlungen und EU-Visa-Freiheit dafür, dass die Türken die Flüchtlinge behalten. Juncker schlug Erdogan sogar eine politische Showeinlage vor, um all das auch skeptischen EU-Mitgliedern verkaufen zu können – „irgendeine gute Geste der Türkei im Zypern-Konflikt“.
Das Skandalprotokoll fand auf der Nachrichtenplattform „euro2day.gr“ den Weg in die Weltpresse. Die EU hat sich zur Echtheit des Dokuments nicht geäußert; Präsident Erdogan hingegen schon. Er bestätigte den Wahrheitsgehalt der Gesprächsaufzeichnung: „Das veröffentlichte Protokoll ist für uns keine Schande, sondern eigentlich ein Entlastungsdokument. Die Busse und Flugzeuge stehen nicht umsonst da“. Mittlerweile fordert Präsident Erdogan von Brüssel ja bereits 9 Milliarden Euro.
Gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Protokolls gab es noch eine Verlautbarung der ganz anderen Art. Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge erklärte das Religionsamt der Türkei – also die höchste religiöse Behörde des künftigen EU-Mitglieds –, dass „Frauen, die ihre Augenbrauen zupfen oder ihre Haare von der Oberlippe entfernen, eine Sünde begehen“. Und Bülent Arinc – ehemaliger türkischer Parlamentspräsident und Erdogan-Vize – forderte zuvor, dass Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr laut lachen und ihre Attraktivität nicht zeigen sollten. Er kritisierte den – von ihm selbst beobachteten – Hang der Damen, „stundenlang“ mit dem Handy zu telefonieren, anstatt „die Kochrezepte und Klatschgeschichten“ in persönlichen Treffen auszutauschen. „Wo sind unsere Mädchen, die leicht erröten, ihren Kopf senken und die Augen abwenden, wenn wir in ihre Gesichter schauen, und somit zu einem Symbol der Keuschheit werden?“, schwärmte er anlässlich seiner Forderung gegen lautes Frauenlachen im öffentlichen Raum.
Zu all dem fällt einem nur der Satz des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers und Vaters der Wiedervereinigung, Helmut Kohl, ein. Er, der eine türkische Schwiegertochter hat, verwarf die Beitrittsforderung der Türkei zur EU stets mit der Bemerkung: „In meinem Schulbuch gehörte die Türkei zu Asien.“