Europa steht wegen des Ukraine-Krieges vor der größten Flüchtlingskrise seit dem 2.Weltkrieg. Ein Ende der Katastrophe ist nicht absehbar. Die unbequeme Wahrheit ist: Die EU muss auch Druck auf die Führung der Ukraine machen, damit ein „Kompromissfrieden“ möglich wird.
Wir stehen mit dem schwächsten politischen Personal vor der größten Krise seit dem 2. Weltkrieg. Es werden Flüchtlingsströme im zweistelligen Millionenbereich erwartet. Sie werden jene des Jahres 2015 um ein Vielfaches übertreffen. Mehr als drei Millionen Menschen sind bereits geflohen. Deutschlands Außenministerin spricht davon, dass jedes EU-Land Hunderttausende aufnehmen müsse. „Kein Land ist darauf vorbereitet, in dieser Größenordnung Menschen aufzunehmen und zu versorgen“, sagt Hanne Beirens, Direktorin des Migration Policy Institute in Brüssel. Das betrifft Arbeitsmarkt, Wohnraum und Soziales.
Wir müssen uns der unbequemen Wahrheit stellen: Sanktionen gegen Russland werden diesen Krieg nicht beenden. Die haben auch in Nordkorea und Syrien nichts bewirkt. Eine militärische Lösung gibt es nicht. Die NATO lehnt ein Einschreiten ab, da das Weltkrieg bedeutet.
Auf die USA dürfen wir uns nicht verlassen: Als weltweit zweitgrößter Flüssiggas-Exporteur nützen sie den Konflikt, um die Russen endgültig aus dem EU-Markt zu drängen. Außerdem sind die Amerikaner vom Flüchtlingschaos nicht betroffen. Die USA hatten am Höhepunkt der Krise 2015 gerade einmal 1.800 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Polen allein versorgt heute zwei Millionen Ukrainer. Auf die Bitte des polnischen Präsidenten, auch die USA mögen ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, ging US-Vizepräsidentin Harris nicht einmal ein.
Der Neutralitätsstatuts der Ukraine nach dem Vorbild Österreichs ist eine der wesentlichsten russischen Forderungen: Was hindert den ukrainischen Präsidenten Selenzkyi daran, sein Land für neutral zu erklären? Ein NATO-Beitritt der Ukraine ist ohnehin vom Tisch. Selenzkyi selbst erklärte vor wenigen Tagen: „Jahrelang haben wir von offenen Türen gehört, aber jetzt haben wir auch gehört, dass wir dort nicht eintreten dürfen, und das müssen wir einsehen.“ Wenn sogar Selenzkyi einsieht, dass ein NATO-Beitritt nicht mehr zur Debatte steht: Warum setzt sich die EU nicht für den Neutralitätsstatuts der Ukraine ein, sondern lässt den ukrainischen Präsidenten im olivgrünen T-Shirt mit abgekupferten Churchill-Reden weiter für einen Volkskrieg werben, der ohne NATO nicht zu gewinnen ist?
Neutralität und Entmilitarisierung sind der Schlüssel zum „Kompromissfrieden“, um im Gegenzug einen Waffenstillstand samt großflächigen russischen Truppenabzug mit gewahrtem Gesicht auszuhandeln. Friedenspolitik ist Realpolitik! Alles andere ist naives Wunschdenken, auch wenn das bei einem Angriffskrieg Putins mehr als bitter schmeckt. Gelb-blaue Krawatten und Slogans wie „We stand with Ukraine“ helfen so wenig wie die Twitter-Botschaften nach Terroranschlägen: „Wir sind Paris, Nizza oder Wien.“
Die Zeit drängt. Wir werden bald vor fast unlösbaren Problemen stehen. Um es mit den Worten des ehemaligen französischen Präsidenten Sarkozy zu sagen: Die EU sollte nicht schon wieder den Fehler machen und wie ein „Installateur handeln, der das Wasser bei einem Rohrbruch in der Wohnung verteilt, anstatt den Schaden zu beheben“.