„Nehmt euch die Juden und Christen nicht zu Freunden“. Dieser Satz war auf großen Werbetafeln an Busstationen in der türkischen Millionenstadt Konya plakatiert. Die Plakat-Aktion lässt umso mehr aufhorchen, als die Türkei erst vor Kurzem erklärte, ihre Bemühungen um einen EU-Beitritt fortsetzen zu wollen.
Die Entwicklungen in der Türkei sind besorgniserregend. Man denke an die politischen Drohungen gegenüber dem Westen, die 15.000 Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Kurdenpolitik, die 125.000 entlassenen Beamten, Richter und Staatsanwälte, die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, den mit Haft sanktionierten Straftatbestand „Beleidigung des Türkentums“, den Anstieg der Steuer auf Alkohol um 700% (mit dem das für Muslime geltende Alkoholverbot faktisch erzwungen wird), die Säuberungen in der Armee und Unregelmäßigkeiten bei Wahlen, die Machterweiterung des Präsidenten, das Umschreiben von Schulbüchern und die Wiedereinführung des Kopftuches an türkischen Universitäten.
Der aktuelle Skandal ist bloß einer von vielen: An Busstationen der türkischen Millionenstadt Konya prangten Werbetafeln mit der Aufschrift: „Nehmt euch die Juden und Christen nicht zu Freunden“. Illustriert war der Schriftzug mit Davidstern und Kreuz, die mit Blut verschmiert waren. Nach Protesten auf Twitter wurden die Plakate wieder abgenommen (wohl um Touristen nicht abzuschrecken). Die Aktion war mehr als verstörend. Im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei muss man sich unbequemen Wirklichkeiten stellen:
- Die ursprünglich westliche Orientierung der Türkei fußte nicht auf Aufklärung, sondern auf der Macht der Armee. Es sind Militärs, die den „Kemalismus“, also die laizistische Grundordnung des Landes, garantieren. Die Armee wird aber seit Monaten gesäubert, um die Re-Islamisierung der Türkei voranzutreiben.
- Im Fall des EU-Beitritts würden türkische Abgeordnete einen großen Teil der Sitze im EU-Parlament erhalten. Denn die Türkei wäre bald das mit Abstand bevölkerungsreichste Land der Union. Ohne jahre- oder jahrzehntelange Ausnahmen im Arbeits-, Sozial- und Niederlassungsrecht käme es wohl zu millionenfacher Zuwanderung und enormer wirtschaftlicher Belastung der EU. An geordnete Integration wäre bei voller Freizügigkeit und diesen Größenordnungen schwerlich zu denken: Es würden vermutlich überall in der EU türkische Parteien entstehen.
- Das größte Risiko bei einem EU-Beitritt droht aber der Türkei selbst. Denn Europa-Recht führt zum Anspruch der Kurden nicht nur nach kultureller, sondern auch politischer Autonomie. Die Türkei würde in einen schweren inneren Konflikt und Widerstreit mit den anderen EU-Ländern geraten. Wertungsfrei gesagt: Über die Kurdenfrage würde die Türkei zerbrechen. Das Ergebnis wäre die Destabilisierung der gesamten Region inklusive dem Irak und Syrien.
Peter Scholl-Latour sagte über die Verlogenheit der EU-Politiker in der Türkeifrage: „Die Täuschung der Menschen bei uns ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist, wie man mit den Türken umgeht. Die werden genauso belogen: Einerseits macht man ihnen Hoffnung auf einen EU-Beitritt, andererseits hofft man, dass sie auf dem endlosen Weg dorthin doch noch scheitern.“